Fieser Streit im Urlaub? Das geht auch anders.
Es war ein sommerlich schöner Tag, als ich im Mai 2022 in Heraklion gelandet war, um meinen Urlaub im wahrsten Sinne des Wortes „anzutreten“. Zwei Jahre Arbeit in der Coronastabsstelle lagen hinter mir. Das war eine Zeit ohne Urlaub, mit langen Phasen ohne Pausen, wenig Freizeit und ohne geregelte Arbeitszeiten. Ich hatte mir diesen Urlaub sowas von verdient.
Am Flughafen war schon die Hölle los und endlich im Hotel angekommen, war meine Anspannung dann sehr deutlich geworden. Ich brauchte einen halben Tag, um mich zu beruhigen, weil ich mich über solche Kleinigkeiten, wie ein zu kleines Zimmer und Felsen am Strand wahnsinnig aufgeregt hatte.
In diesem halben Tag Beruhigungsphase wurde mir klar, dass ich diesen Urlaub wirklich nötig hatte und dass es nicht gut ist, einen Urlaub so wirklich nötig zu haben.
Auch von meinen Klientinnen und Klienten weiß ich: Viele Menschen leben im Alltag über ihre eigenen Ressourcen hinweg und warten sehnsüchtig auf die Urlaubszeit.
Urlaubszeit steht für ausgiebige Erholung, sich entspannen, sich ausleben, endlich Zeit für sich und d. Partner:in haben.
Nur kann kein Urlaub wegzaubern, was sich im Alltag alles ansammelt.
Ich habe mir damals fest vorgenommen, ab jetzt nicht auf den Urlaub hinzuleben, sondern mehr Urlaub in meinen Alltag zu bringen und setze das auch um.
Wieso kommt es im Urlaub zum Streit?
Dass es dann im Urlaub Streit gibt, ist fast schon vorprogrammiert.
→ Zum einen ist konfliktsuchendes Verhalten ein häufiges Muster bei chronisch gestressten Menschen. Die Impulskontrolle, die dafür verantwortlich ist, dass wir unser Verhalten steuern, ist bei chronisch gestressten Menschen oft nicht mehr vorhanden. Viele haben eine „ganz kurze Zündschnur“.
→ Zum anderen blasen die riesigen Erwartungen an den Urlaub, der große Druck auf ja bloß perfekte Tage, alles so gewaltig auf, dass es schnell auch zum großen Knall kommt.
Viele Menschen malen sich vorher schon aus, was sie hinterher vom Urlaub erzählen möchten. Wenn sich der Urlaub dann in der Realität entzaubert, kann das unheimlich frustrieren.
Ich lasse mich im Urlaub nun mehr und mehr auf normale Welten ein.
→ Während wir mit unseren Mitmenschen im Urlaub nach Abstand vom Alltag suchen, haben wir – meist ohne es voneinander zu wissen - völlig unterschiedliche Konzepte, wie das genau aussieht.
Ich kommuniziere meine Wünsche an meinen Urlaub, sage meinen Freundinnen zum Beispiel, dass ich gerade etwas durchgeplant bin und weniger feste Termine im bevorstehenden gemeinsamen Urlaub haben möchte.
→ Wenn wir mit Freund:innen oder Bekannten in den Urlaub fahren, erleben wir plötzlich große Nähe mit Menschen, die wir so genau bislang noch gar nicht kennen. Dabei werden viele neue Seiten sichtbar, die uns verunsichern – ist das noch die Person, die ich kenne?
→ Vielleicht erleben wir auch, dass die Anderen Dinge ohne uns erleben wollen, dass sie mit uns keine tiefsinnigen Gespräche führen möchten, sondern einfach „ihre Ruhe haben wollen“. Dann entstehen schnell Kränkungen, weil wir uns plötzlich abgelehnt fühlen. Dabei hat das Verhalten der anderen Person vielleicht gar nichts mit uns zu tun.
→ Die meisten Urlaubssettings sehen zu wenig Me Time vor. Auf einmal kleben Partner:innen und Familien aufeinander. Dabei brauchen die meisten Menschen auch Zeit für sich selbst.
Wir wollen, dass andere sich uns anpassen.
Wenn das nicht klappt, stellen wir gern die ganze Beziehung in Frage.
Dabei vernachlässigen wir aber etwas Entscheidendes:
Apropos Vorbereitung – was kann ich denn tun, damit der Urlaub zwischenmenschlich möglichst spannungsfrei verlaufen kann?
Was kann ich vor dem Urlaub tun?
Mitreisende gut auswählen.
→ Passen wir zueinander?
Vorher selbst überlegen:
→ Was will oder erwarte ich von diesem Urlaub?
→ Wie wichtig ist mir meine Autonomie?
Realistisch bleiben.
Gemeinsam planen und sich gut einbeziehen.
Erwartungen klären.
Mir wichtige Dinge wirklich klar ansprechen.
Was kann ich im Urlaub tun?
Sich gegenseitig Raum lassen und Rückzug ermöglichen.
Erlebnisdruck rausnehmen.
Andere Stimmungen (als positive) auch zulassen.
Bedürfnisse äußern.
Muss ich Streit vermeiden?
Nein, Streit ist nicht schlimm. Er ist wichtig, muss aber von den meisten Menschen noch geübt werden.
Kommt es im Urlaub zum Streit, stresst uns das massiv und dann denken wir gerne katastrophisierend: Der ganze Urlaub ist im Eimer.
Das ist meist nicht so. Streit wird weniger aufgeblasen, wenn wir ihn bzw. die dahinterstehenden Meinungsverschiedenheiten erst einmal als ganz normal annehmen.
Natürlich kann Streit schlimm werden, meist aber erst dann, wenn sich die Dinge ausreichend aufladen können, weil sie lange Zeit hineingefressen wurden und somit vor sich „hingären“. Themen werden so immer größer und in der Aussprache immer unangenehmer.
Was tun, wenn es Streit gibt?
Nimm erst mal Druck raus („Streit ist normal.“).
Beruhige und fokussiere Dich.
Frage Dich dazu:
- Was ist mein Problem?
- Worin genau besteht der Konflikt?
- Was davon muss ich jetzt klären?
Verurteile nicht d. Andere:n.
Im Streit neigen wir dazu, selektiv negativ über d. andere Partei zu denken.
Öffne den Blick wieder auf alles Positive, dass Du vom Anderen kennst.
Wenn Dir an d. anderen Person etwas liegt, äußere es. Menschen reagieren meist durchaus positiv, wenn man ihnen Entscheidungsspielraum lässt und signalisiert, dass uns an ihnen etwas liegt und ggfls., dass wir unsere eigenen Verhaltensweisen bedauern.
Übernimm also auch Verantwortung für den Streit. Dadurch stimmst Du nicht automatisch allen Punkten zu, zeigst aber Deine eigene Beteiligung.
Und zu guter Letzt die Zauberformel:
Äußere, was Du Dir wünscht.
Schönen Urlaub!
Herzliche Grüße
Dörthe Dehe